Laubbläser und 2G (September 2021)

Es gab in der Pandemie einige Maßnahmen, die mir einen ziemlichen Stich im Bauch versetzt haben. Das war die Schließung von Spielplätzen, das Wegschicken von Menschen von Parkbänken und aus Parks mittels Polizei sowie das Schließen von Kindergärten, Schulen und Kultureinrichtungen.

Vor unserem Haus steht eine einzelne Schaukel. In Rekordgeschwindigkeit wurde das Absperrband vom Hausmeisterdienst um die eine Schaukel gewickelt. Erstaunlich, wenn ich daran denke, wie lange das Licht im Treppenhaus kaputt war und sich niemand darum gekümmert hat. Ich habe mich gefragt, was sich der Hausmeister wohl dabei gedacht hat, als ihm folgendes Licht aufging: „Hm, von dieser Schaukel, auf der ein einziges Kind schaukeln kann, geht eine ziemlich große Gefahr aus. Ja, diese sinnvolle Verordnung erledige ich heute als erstes. Endlich habe ich eine Verwendung für mein schönes Absperrband."

Eine weitere große Gefahr, bei der seit Jahren unser Hausmeisterservice schnell aktiv wird, sind die ersten Blätter, die im Herbst herabfallen. Sie werden sofort mittels dröhnender Laubbläser weggeblasen. Als eines Herbsttages gleich drei Menschen mit Laubbläsern in unserem Hof aktiv wurden, habe ich mal versucht zu erklären, dass mir das zu laut ist. Leider war das aufgrund des ohrenbetäubenden Lärms nicht möglich. Meinen Vortrag darüber, wie viele Viren durch Laubbläser herumgewirbelt werden, wollte keiner hören. Auch nicht wie gefährlich Laubbläser für kleine Lebewesen sind. Aber alle Lebewesen, die unter 1,30 m groß waren, schienen im ersten Jahr der Pandemie sowieso keinen zu interessieren. Kinder beispielsweise - selber schuld wer ein Kind ist oder eins hat. Häufig auch als „Virenschleudern" betitelt. Doch nachdem die Auswirkungen so groß waren und die Kinder im übertragenen Sinne immer kleiner wurden anstatt zu wachsen, ist es doch dem ein oder anderen aufgefallen, dass da wohl was nicht stimmt.

Nun kam pünktlich zum herbstlichen Sommer eine weitere Maßnahme, die mir einen Stich versetzt: die 2G-Regel, die Menschen, die sich nicht oder noch nicht impfen lassen wollen von der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ausschließt. Dabei spielt es keine Rolle, dass auch geimpfte Menschen Überträger der Krankheit sein können, dass auch Ungeimpfte Antikörper haben können, dass die Impfung vermutlich nach 6 Monaten erneut verabreicht werden muss. Nun darf fröhlich ausgegrenzt und ausgesperrt werden. Das Geheul ist für mich genauso laut und unangenehm wie das der Laubbläser und ich glaube, es bereitet vielen ein ähnliches Lustgefühl wie einen Laubbläser in der Hand zu halten. Das sei gerecht und ethisch und moralisch vertretbar. Wer nicht hören will, muss fühlen. Diskriminierung? Mir doch egal. Das scheint die neue „alte" Pädagogik zur Bekämpfung der Pandemie zu sein. Nachdem die Gesellschaft nun genau weiß, wer an den steigenden Infektionszahlen schuld ist, werden Markierungen von Menschen erschreckend schnell eingesetzt. In Freizeitparks und in Discotheken werden Menschen mittels Bändchen gekennzeichnet, ob sie geimpft sind oder nicht. Bald wird nicht nur in Hamburg Ungeimpften in Clubs oder Restaurants der Zutritt verweigert werden. Am Eingang wird der Gesundheitspass kontrolliert. Aus einer offenen wird eine geschlossene Gesellschaft, die tief blicken lässt.

Mit dem Datenschutz nimmt man es seit Zoom eh nicht mehr so genau und persönliche Informationen gibt man sowieso gerne her. Man fotografiert sich bei allem, was man macht. Man hat einen Regenbogen auf seinem Facebook Profil, weil man gegen Diskriminierung von Minderheiten ist. Man postet seinen Impfstatus auf Facebook mit Pflaster und Lächeln und zeigt, dass man jetzt dazu gehört zur Gruppe der Geimpften. Dabei steht man gehörig unter Stress, denn nicht alle sehen das so wie man selbst und machen mit bei „#Ärmel hoch". Das ärgert einen und hätte man Pflastersteine, würde man sie am liebsten werfen auf die „Impfverweigerer" und „unsozialen Schwurbler", wegen denen die Impfquote noch nicht erreicht ist. Diese Wörter tippt man wütend überall rein, wo man Kommentare abgegeben kann. Man verfolgt seit Anbeginn der Pandemie Kurven und Infektionszahlen und schwere Verläufe und versteht nicht, warum nicht alle so handeln wie man selbst oder die Leute, die einen liken.

Und wenn der Mensch unter Stress steht, kommen die Reflexe ins Spiel und der Reflex, der nun gesellschaftsfähig geworden ist, ist eine Personengruppe auszugrenzen. Ja, Menschen sogar schuldig zu sprechen für ihr Fehlverhalten, da sie nicht mitmachen bei dem, was man gut findet. Daher sind sie schuldig und müssen bestraft werden. Eine Unschuldsvermutung gibt es dabei nicht. Schuldig macht allein der nicht vorhandene Impfausweis. Es ruft auch keiner „Stopp, redet doch erst mal miteinander!“ - wie Eltern das normalerweise zu ihren Kindern sagen, wenn diese reflexartig anfangen, aufeinander einzuschlagen. Wahrscheinlich waren die Spielplätze zu lange zu und die Erwachsenen haben das verlernt. Und so darf man weiter wütend sein, denn man will nicht länger eingesperrt sein. Aber unter Leute kann man doch erst wieder, wenn alle beim Impfen mitmachen! Und wenn man könnte - und mit „2G“ kann man das, wird man Menschen, die das nicht kapiert haben, aussperren: mit einem Absperrband in Regenbogenfarben.

Doch was ist mit der vielgepriesenen Akzeptanz der Diversität der Gesellschaft mit ihren unterschiedlichen Auffassungen und persönlichen Entscheidungen? Was ist mit einer Diskussionskultur, bei der mit und nicht übereinander gesprochen wird, dem Austausch von Argumenten? Was ist mit einem respektvollem Umgang mit Menschen, die eine andere Meinung haben als die eigene? Was ist mit der Würde des Menschen, die unantastbar ist?

Doch solange es Laubbläser gibt, will das wahrscheinlich eh keiner hören. Und wenn die Laubbläser endlich ausgeschaltet werden, haben die Menschen verlernt, einander zuzuhören und miteinander zu sprechen. Haben verlernt, auch leise und kritische Töne wahrzunehmen. Haben verlernt, nicht gleich andere schuldig zu sprechen, sondern Interesse an ihren Gedanken zu haben und die Beweggründe für die ein oder andere Entscheidung zu erfahren. Das wird jedoch nicht gehen, wenn es gar keine Orte des gemeinsamen Austauschs mehr gibt. Es wird dann nicht mehr miteinander gesprochen, sondern nur übereinander wie in den sozialen" Medien.

Der Ausschluss von Menschen wird fatale Folgen für die ganze Gesellschaft haben. Zur Gesundheit eines Menschen und einer Gesellschaft gehört eben mehr als „geimpft" oder „genesen" - aber ich fürchte die Mehrheit sieht das anders.

 
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