Über mich
Mein Name ist Kirstie Handel (Jahrgang 1979). Ich bin hauptberufliche Künstlerin und seit fast der Hälfte meines Lebens mit clownesken Theaterstücken für Kinder und Familien sowie komödiantischen Programmen für alle im deutschsprachigen Raum unterwegs. Außerdem bin ich Mutter einer Tochter.Mit meinem mobilen Kinderheater möchte ich möglichst vielen Kindern die kulturelle Teilhabe ermöglichen. Auch ab 2020 haben mein Team und ich, wann immer möglich trotzdem noch für Kinder gespielt. Wir haben Bühnenbilder für draußen umgebaut, diese windfest gemacht, Technik und Mikros besorgt, Livestream-Programme inszeniert, Videos gemacht, Filme produziert oder draußen vor Kinderpublikum mit riesigen Abständen gespielt - während Erwachsene eng beieinander im Fußballstadion saßen und ausgelassen feiern durften. Vieles war absurd, aber ich wollte den Kinder und Familien lieber eine vergnügliche Stunde bereiten als keine. Auch interessieren sich Kinder nur in einer gewissen Phase für bestimmte Stücke/Themen und dieses Interesse lässt sich nicht auf unbestimmte Zeit aufrechterhalten. Dessen war ich mir bewusst.
Umso erschrockener war ich, als im Herbst 2021 in Bayern Zugangsbeschränkungen für Menschen ab 12 Jahren und 3 Monaten verordnet wurden und Menschen, die öffentliche Kulturzentren aufsuchen wollten, einen 2G-Nachweis vorzeigen mussten. Kultur für alle anzubieten, war nicht mehr möglich. Ich hatte viele schlaflose Nächte und war mir nicht sicher, ob ich meinen Beruf auf Dauer unter diesen Umständen weiterführen konnte und wollte. Mir war klar, wenn man als Gast einmal von einem Ort ausgeschlossen wurde, wird man dorthin nicht mehr gerne zurückkehren. Oder falls doch, dann nur mit einem sehr merkwürdigen und negativem Gefühl.
Der Ausschluss von Teilen des Publikums in der Kulturbranche wurde in Bayern 4 Monate verordnet, viel länger als in allen anderen Branchen. Es war auch lange unklar, ob es im Herbst 2022 erneut dazu kommen würde. Als Begründung wurde die rote Krankenhausampel genannt, aber auch als sie auf grün sprang, galt 2G trotzdem noch. Ich habe in dieser Zeit von Freund*innen und Kolleg*innen respektlose Aussagen über „ungeimpfte" Mitmenschen gehört oder gelesen, die ich nicht vergessen kann. Verbale Aggressionen richteten sich auch gegen Menschen, die gegen diese Ungleichbehandlung demonstrierten. Was teilweise über sie gesagt wurde, hat mich erschrocken.
Denn für mich war klar, ich konnte bei 2G nicht mitmachen, meine rote Linie war überschritten. Ich bin immer noch fassungslos, dass eine Branche, die sich als vielfältig und divers bezeichnet, bereit war, andere Menschen nicht an ihrer Kultur teilhaben zu lassen. Oder ist vielfältig und divers nur das, was man selbst als vielfältig und divers betrachtet? Ein bisschen bunt, aber nicht zu farbenfroh - oder nur in den Farben, die andere anordnen? Wie konnte diese staatlich verordnete Diskriminierung einfach ohne Aufstand hingenommen werden? Warum konnten allein durch Androhung einer Strafe die Grundprinzipien des gesellschaflichen Miteinanders über Board geworfen werden? Und warum wird über diese monatelange Ausgrenzung auch jetzt noch geschwiegen? Warum werden wir gleichzeitig zu Antidiskriminierungsworkshops eingeladen? Ich kritisiere jede Form von Diskriminierung, doch es darf nicht mit zweierlei Maß gemessen werden. Hätte die Kulturbranche dauerhaft private gesundheitliche Daten kontrolliert? Warum hat sie überhaupt dabei mitgemacht und diese persönliche gesundheitliche Entscheidung nicht den Menschen selbst überlassen? Die Kultur, die zu einem großen Teil aus öffentlichen Geldern finanziert wird, war nicht für die gesamte Öffentlichkeit zugänglich. Warum hat sie das zugelassen? Waren ihr Teile ihres Publikums egal? Werden sich die Menschen, die ausgeschlossen wurden, dauerhaft von Kulturveranstaltungen abwenden? Warum wurden kritische Stimmen von Kolleg*innen zum Schweigen gebracht? Warum wurde über diese Fragen und die Folgen für Betroffene so wenig gesprochen? Warum dieses Silencing von Menschen, die sich lediglich für soziale Teilhabe aller eingesetzt haben? Hätte die Kultur für immer Menschen nicht teilhaben lassen? Wird sie es wieder tun, wenn die Politik es erneut anordnet? Werden dann andere betroffen sein?
Ich liebe die Essenz meines Beruf sehr, denn er verbindet Empathie, Menschlichkeit und Gemeinschaft in einer Form, die ich nur aus Auftritten kenne, bei denen alles rund ist. Dazu brauche ich aber ein Fundament. Die Menschen dürfen vorher nicht eingeteilt und aussortiert werden nach politisch verordneten Kriterien. Denn wenn das so ist, kann ich das Ziel, dass ein Auftritt für mich beinhaltet, nicht erreichen: für alle zu spielen, die kommen möchten. In einer Kulturbranche, die das nicht als selbstverständlich ansieht, fühle ich mich nicht mehr zu Hause.
Die Menschen, die ausgegrenzt wurden, spüren das bis heute. Wir brauchen eine Aufarbeitung. Ich fange im Rahmen meiner Möglichkeiten damit an. Ich würde mich freuen, wenn viele, die Ähnliches empfunden haben, mitmachen. Wir haben nichts zu verlieren, außer unsere Angst.
Mit herzlichen Grüßen
Kirstie Handel im Juni 2023